Samstag, 19. Mai 2007

Artikel: Exulantenschicksale im Vogtland

Gefunden in den Büchern von Schöneck und Klingenthal:
Ausgewählte Exulantenschicksale – was alte Aufzeichnungen verraten


Nachfolgender Artikel erschien in "Riedelhofgespräche", Heft 1. Herausgeber: Riedelhof Eubabrunn, Landschaftspflegeverband "Oberes Vogtland"

Unter diesem Titel wurde am 04.06.2005 im Rahmen des 13. Jahrestreffens der vogtländischen Familienforscher in Eubabrunn ein Vortrag zur Exulantenproblematik im Kirchspiel Schöneck/Klingenthal gehalten. Durch die Erstellung eines Familienbuches für das Kirchspiel Schöneck konnten einige interessante Entdeckungen gemacht werden, die vorher n
och nicht bekannt waren. Im Folgenden werden die Hauptinhalte des Vortrags nochmals dargelegt.

Das Kirchspiel Schöneck im oberen Vogtland umfasste bis zur kirchlichen Selbständigkeit Klingenthals 1635 auch das waldreiche Gebiet östlich der Stadt zwischen der böhmischen Grenze und dem Besitzungen der Stadt Falkenstein. Bis zur Gründung des nahe der Gr
enze gelegenen Hammerwerkes im Jahre 1591, dem Hellhammer, war diese Gegend praktisch unbesiedelt. Nur eine Straße verband die Städte Schöneck in Vogtland und Graslitz in Böhmen. Der Zwotahammer mit der dazugehörigen Mühle weiter westlich bestand zu dieser Zeit schon einige Jahrzehnte, lag aber viel näher an Schöneck als der abgelegene Hellhammer mit der dazugehörigen Siedlung. Vor allem Hammerarbeiter, Köhler und Bergleute wohnten hier, deren familiäre Beziehungen vor allem nach Graslitz wiesen, wo der Bergbau bereits seit Jahrzehnten florierte.

Dieser neu gegründete Ort sollte Durchgangsstation und neue Heimat für viele Exulanten werden, die Böhmen in den Jahren nach dem erstmaligen Erlass kaiserlicher Ausweisungsdekrete 1621 den Rücken kehrten und sich eine neue Heimat in den angre
nzenden protestantischen Ländern suchten. Bereits im Jahr 1604 lassen sich einige Familien (Puggel, Saßler, Altenhauser) aus Kärnten in der näheren Umgebung nieder, die auf betreiben der Jesuiten das Land verlassen mussten. So ist zwischen 1621 und 1628 ein Hans Müldeller aus Tirol nachweisbar. Er arbeitet im Hellhammer als Bergmann und lässt drei Kinder taufen. Wolff Brand, ebenfalls aus Österreich, lässt sich im Hellhammer als Schneider nieder. Abraham Altenhauser, der bereits 1604 in Markneukirchen nachweisbar ist, wohnt später in Graslitz und zieht schließlich nach Klingenthal um, wo er umfangreichen Bodenbesitz erwirbt und dort mindestens zwischen 1627 und 1647 lebte. Im Lehnsbuch des Waldgutes Klingenthal von 1647 wird angegeben, dass er „von Lindt aus dem Landt zu Kerndten“ stammt. Von dieser frühen Exulantenbewegung wird das obere Vogtland relativ wenig berührt, weit bedeutender waren die späteren Exulantenströme aus dem benachbarten Böhmen.

Nach der Schlacht am Weißen Berg bei Prag und der Hinrichtung d
er Anführer des Aufstandes 1620 war Kaiser Ferdinand II. die nötige Macht gegeben auch in Böhmen die Gegenreformation zu beginnen. Vorher wäre jeder derartige Versuch am Widerstand der Stände gescheitert. In den Jahren 1621 und 1624 erfolgte der Erlass von Ausweisungsdekreten für evangelische Geistliche, erst 1628 auch für die Pastoren Johann Kretschmar und Christian Georgi in Graslitz, die unter dem Schutz der Freiherren von Schönburg bis dahin unbehelligt geblieben waren. In Klingenthal, oder wie Pfarrer Olza schreibt „in der Hella“, finden sich in den Jahren ab 1626 eine ganze Anzahl vertriebener Geistlicher, die mit ihren Familien das Land verlassen haben und dort zumindest vorübergehend eine Bleibe fanden. So erscheinen im Kirchenbuch von St. Georg Schöneck:

• Philipp(us) CANISIUS, ein „vertriebener prediger auß Böhem in der Hella bey bock Girgn (= Georg HAMM) zur herbrig“
Er lässt 1626 seine Tochter Sebilla und 1629 seinen Sohn Iohann Christoph taufen, 1631 ist seine Ehefrau als Patin erwähnt.


• Die Brüder Josua und Benjamin REICHE, beides Pastoren
Ersterer war wie Philipp CANISIUS 1628 ebenfalls bei Georg HAMM untergebracht, sein Bruder Benjamin aus „Schwannebergk“ bei Albert SPENGLER
Im Dezember 1628 stirbt der Sohn des Benjamin R., de
r „kranck auß Böhem an heims in Klingenthall zu Albert Spengler kommen, da der vater zur herbrig gewesen“ und kurz darauf das erst ein Jahr alte Söhnlein von Josua R. Beide werden auf dem neuen Friedhof von Klingenthal bestattet, Olza bemerkt es „haben also beyde herrn brüder als exules, mit Jhren beyden söhnen, alda den newen Gottsacker ein weyhen müssen“.

• David TROLL, gewesener Pfarrer in Bleistadt, er stirbt als
„exul chri“ 1629 in Klingenthal und wird am 15.12.1629 dort bestattet

• Johann BORSCHIUS, ein „vertriebener pfarrherr auß Böhem itzo in Klingenthall“ der dort am 29.05.1630 die Zwillinge Adam Friedrich und Johann Georg taufen lässt.

• Johann WALDTMAN, der Pfarrer in „Sonnebergk“ war und 1638 als „Paedagogus“ des Oberförsters Georg GEYER in Schöneck stirbt.

Nach dem Weggang der Pfarrer Kretschmar und Georgi wurden die Taufen in Graslitz vom Kantor vorgenommen, die Trauungen erfolgten auf sächsischer Seite in Klingenthal. Es wurden auch Überlegungen angestellt, ob nicht auf sächsischen Boden eine neue Kirche für die Graslitzer errichtet werden und die Betreuung der Gemeinde von Klingenthal aus geschehen könnte, allerdings wurde dieser Plan bald wieder aufgegeben.

die alte Graslitzer Kirche

Als 1653 Graslitz einen eigenen katholischen Geistlichen bekam, wurden die kirchlichen Handlungen wieder dort durchgeführt, jedoch gingen auch nach dessen Amtsantritt die evangelischen Einwohner nach Klingenthal zum Gottesdienst. Etwa 1400 bis 1500 waren es nach Schätzung des Klingenthaler Richters zu Weihnachten 1657.

Ein Beispiel für eine Exulantenfamilie die sich in Klingenthal niederließ sind die Reinholds und obwohl das erste Kirchenbuch 1635 – 1695 fehlt lassen sich doch eine ganze Reihe interessanter Details aus anderen Quellen entnehmen. Um 1628 dürfte Christoph Reinhold (auch Reimell oder Reindell geschrieben) mit seiner Frau Margaretha und anderen Exulanten nach Klingenthal gekommen sein, das Klingenthaler Lehnsbuch von 1647 führt ihn auf als „gewesener Herrenmüller zu Eger“. Interessanterweise wird auch im Kirchenbuch Brambach ein Herrenmüller Reinel erwähnt, der am 23.02.1618 seine Tochter Susanna taufen lässt. Am 1. Februar 1630 erwirbt er für „zweyhundert zehn Gulden Kayserischer Münze“ den Platz der alten Hammerhütten um eine Mühle neu zu errichten, er scheint also nicht mittellos aus Böhmen gekommen zu sein. An gleicher Stelle brannte 1628 das Hammerwerk ab und wurde nicht wieder aufgebaut. Zur Mühle gehörte auch ein Garten, eine Öhlmühle und das Recht zur Nutzung des Mühlteiches.

Mühlteich und Mühle (oberhalb des "th" von "Oberklingenthal")

Wann Christoph Reinhold starb ist nicht bekannt, 1647 wird sein Sohn Matthäus Reinhold bereits als Müller aufgeführt. Er bewirtschaftete die Mühle mindestens bis 1661 oder 1668 und übergab sie dann seinem gleichnamigen Sohn Matthäus, der 1673 letztmalig in Klingenthal nachweisbar ist. Seine Tochter Regina heiratet 1669 Adam Schnürer aus Brambach und zog dorthin um. Im Jahre 1672 brannte die Mühle ab, die Familie ging wohl daraufhin aus Klingenthal weg. Möglicherweise wohnten sie eine Zeitlang bei ihrem Schwager Adam Schnürer, denn Catharina Reinhold heiratet ebenfalls in Brambach 1680 Johann Caspar Baumgärtel und ihr Bruder Matthäus und seine Frau Eva Maria geb. Frank aus Markneukirchen lassen dort im selben Jahr seinen Sohn Johann Adam taufen.

Die Klingenthaler Mühle 1723

Mit diesem Taufeintrag 1680 endet vorläufig die Geschichte der Klingenthaler Reinhold-Müller nach drei Generationen, über den weiteren Verbleib des Matthäus ist leider nichts bekannt.

Fast alle Exulanten in hiesiger Gegend kamen aus Böhmen bzw. vereinzelt aus Österreich, allerdings nennt das Kirchenbuch Schöneck auch Ausnahmen, wie z. B.:

• Andreas Fischer, Exulant aus Berlin, kommt um 1670 mit seiner Frau Gertrud nach Schöneck. Laut dem Bürgerbuch Berlin ist er von Malchow gebürtig. Zwei seiner Kinder sind in Schöneck nachweisbar.

• Claus Stöhr, ein Exulant vom Henneberger Land, lässt 1639 seine Tochter Eva in Schöneck taufen.

Im Laufe der Arbeit am Familienbuch Schöneck wurde sehr deutlich, dass eine umfassende Auswertung aller zur Verfügung stehenden Quellen zwar aufwändig ist, aber auch viele neue Fakten liefert die vorher nicht bekannt waren. Insofern kann man hoffen, dass auch in Zukunft bisher unbekannte Aspekte der Exulantenproblematik aufgegriffen und erforscht werden können.

Literatur:

Dörfel, K. E.: „Geschichte der Orte des Amtsgerichtsbezirks Klingenthal“, Klingenthal 1930, Reprint 1991

Müller, A.: „Blicke in die Vergangenheit Klingenthals und des gleichnamigen Amtsgerichtsbezirks“, Leipzig 1897

Patzschke, M. u. a.: „Familienbuch für Brambach im Vogtland 1587 – 1722“, Schriften der Deutschen Zentralstelle für Genealogie in Leipzig, 1997

Riedl, A.: „Die Gegenreformation in der Herrschaft Graslitz von 300 Jahren (1621 bis 1721)“, Festschrift zum 7. Heimatkreistreffen der Graslitzer 1972 in Aschaffenburg, Kolb-Verlag Dettingen

Wolf, K. A.: „Geschichtliche Nachrichten über das Klingenthaler Kirchspiel“, Eibenstock, Band I 1837, Band II 1862

Nachtrag:

Meine Recherche zur Familie Reinel/Reinhold endete mit dem Jahr 1680, von Herrn Helmut Klaubert erhielt ich jedoch noch eine interessante Ergänzung. Am 21.02.1682 heiratet in Arzberg Christoph Reinel, Mühlknecht aus Oberklingenthal, Katharina Nothaft. Später ist er Müllermeister in Korbersdorf bei Arzberg.

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